
Tile Kolup
Der falsche Kaiser des Mittelalters
Der Name Tile Kolup steht für eine der spektakulärsten Hochstapeleien des Mittelalters. Zwischen 1283 und 1285 gelang es einem unbekannten Bettler, sich als wiedergekehrter Kaiser Friedrich II. auszugeben, Höflinge um sich zu scharen, Urkunden unter einem gefälschten Siegel auszustellen und selbst Königen Kopfzerbrechen zu bereiten – bis König Rudolf I. von Habsburg den Schwindel in Wetzlar blutig beendete[1][2].
Politische Stimmungslage nach Friedrich II.
Als Friedrich II. 1250 in Apulien starb, brach die kaiserliche Zentralmacht zusammen. Das anschließende Interregnum ließ Fürsten um Einfluss ringen, während Städte unter neuen Steuern litten. Im Volk blieben Legenden von der Rückkehr des „stupor mundi“ lebendig, ähnlich den Artussagen in England. In dieser Erwartung eines gerechten, starken Herrschers konnten Betrüger als „falsche Friedriche“ auftreten – Kolup war nur der erfolgreichste von mehreren Fällen[2][3][4].
Herkunft und erster Auftritt
Über Kolups Leben vor 1283 ist kaum etwas Sicheres bekannt. Chronisten nennen ihn Dietrich Holzschuh (niederdeutsch „Tile Kolup“), vielleicht einen wandernden Handwerker vom Niederrhein[3][5]. Im Frühjahr 1283 stellte er sich auf dem Marktplatz von Köln als Friedrich II. vor. Die Ratsherren ließen ihn in eine Kloake tauchen und aus der Stadt jagen, doch selbst im Kerker wich er nicht von seiner Behauptung[6].
Hofhaltung in Neuss
Wenig später fand Kolup in der benachbarten Reichsstadt Neuss ein erstaunlich offenes Ohr. Dort erhielt er Quartier, Geld und bald einen kleinen Hofstaat. Mit einem täuschend echten Messingsiegel erließ er Privilegien, etwa an die Äbtissin von Essen, und erteilte Gnadenbriefe an friesische Gesandte[2][5]. Zeitgenossen wunderten sich, woher die Mittel stammten; neuere Forschung vermutet entweder städtische Kreise, die gegen Rudolfs Steuerpolitik opponierten, oder ketzerische Gruppen, die im „auferstandenen“ Staufer einen Hoffnungsträger sahen[2][5].
Rudolf I. greift ein
Rudolf I. belagerte Neuss vergeblich. Kolup wich deshalb 1285 nach Wetzlar aus, wo er mit großem Gefolge einzog und zwei Wochen lang als Kaiser residierte[7][8]. Die Reichsstadt hoffte, den Habsburger zu Zugeständnissen zu zwingen, geriet jedoch rasch unter Druck. Rudolf erschienen vor den Toren mit dem Erzbischof von Köln und forderte die Auslieferung des Hochstaplers. Wetzlar zahlte die geforderte Steuer und übergab Kolup[9][2].
Prozess und Hinrichtung
Auf der Reichsburg Kalsmunt erzwangen Folterknechte Kolups wahre Identität. Rudolf ließ ihn als Ketzer brennen – nach den meisten Quellen am 7. Juli 1285, möglicherweise unter persönlicher Aufsicht des Königs[1][9][2]. Kolups Asche soll in einem Waldstück bei Wetzlar verscharrt worden sein; dort erinnern drei Marmortafeln an sein Ende[7].
Jahr | Ort | Wichtiges Ereignis |
---|---|---|
1283 | Köln | Erste öffentliche Behauptung, Friedrich II. zu sein; Spott und Ausweisung |
1284 | Neuss | Hofhaltung, Ausgabe gefälschter Privilegien; zeitweilige Belagerung durch Rudolf I. |
1285 | Wetzlar | Kurzzeitige Residenz als „Kaiser"; Festnahme und Verbrennung am 7. Juli |
Warum glaubte man ihm?
Mehrere Faktoren begünstigten Kolups Erfolg:
- Die visuelle Anonymität der Zeit – kaum jemand wusste, wie Friedrich II. wirklich ausgesehen hatte.
- Religiös-politische Endzeiterwartungen: Prophezeiungen kündigten die Rückkehr eines „Friedrich" an, der Papst und Fürsten zur Ordnung rufe.
- Wirtschaftliche Belastungen durch Rudolfs Reformen, besonders den „dreißigsten Pfennig", machten jeden Gegner des Königs attraktiv.
- Mediale Inszenierung: Kolup beherrschte symbolische Gesten, trug eine Krone, führte Gericht und pflegte Hofrituale.
Nachleben einer Legende
Nach Kolups Tod kursierten drei weitere falsche Friedriche, einer soll gar behauptet haben, aus der Asche des Verbrannten auferstanden zu sein[7]. Doch erst der Wetzlarer Hochstapler blieb im kollektiven Gedächtnis. 1868 veröffentlichte der Lehrer Victor Meyer die erste Monografie „Tile Kolup, der falsche Friedrich“[7][5]. Seit den 1980er-Jahren zieren Wandmalereien die Wetzlarer Altstadt, eine Mosaikskulptur „Flammenthron“ lädt Passanten ein, selbst kurz „Kaiser“ zu sein[10][11]. Theaterstücke, Opern und Podcasts greifen den Stoff immer wieder auf[12][13][14].
Historische Bewertung
War Kolup nur ein verrückter Bettler? Dass er Schreiben fälschte und Diplomaten empfing, spricht für erhebliche politische Fähigkeiten – oder einflussreiche Hintermänner. Einige Historiker sehen in ihm ein Symptom städtischer Unzufriedenheit mit der neuen habsburgischen Königsherrschaft; andere betonen die religiös-eschatologische Dimension des Friedrich-Mythos[2][5]. Sicher ist: Kolups Episode zwang Rudolf I., seine Finanzpolitik zu überdenken. 1290 berief der König erstmals Vertreter von Reichsstädten zu Beratungen nach Nürnberg – ein frühes Signal der Städtebeteiligung an der Reichsregierung[3].
Schlussbemerkung
Tile Kolup verkörpert die Macht der Vorstellung in einer Zeit ohne Massenmedien. Er nutzte Sehnsüchte nach Ordnung und Glanz, füllte mit charismatischem Spiel das Vakuum zwischen Kaiseridee und städtischer Realität – bis die Gewalt der Obrigkeit das Schauspiel beendete. Seine Geschichte erinnert daran, wie leicht Identität im Mittelalter zu fälschen war – und wie groß die Gefahr, dafür auf dem Scheiterhaufen zu enden.
Quellen:
2. https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/zeitzeichen/zeitzeichen-tile-kolup-hochstapler-hinrichtung-100.html
3. https://de.wikipedia.org/wiki/Tile_Kolup
4. https://www.geschichte-verbrechen.de/tile/tile_kolup.html
5. https://www.deutsche-biographie.de/sfz98848.html
6. https://curiositas-mittelalter.blogspot.com/2016/05/tile-kolup-der-fals
7. https://www.wali-wetzlar.de/wp-content/uploads/2022/12/2022-07-29-WNZ-Tike-Kolup-Der-falsche-Kaiser-fliegt-auf.pdf
8. https://www3.wetzlar.de/microsite/tourismus-blog/tipps/tile-kolup.php
9. https://www.fr.de/rhein-main/hochstapler-scheiterhaufen-11612030.html
10. https://www.bunte-projekte.de/denkmal
11. https://www.wetzlar-network.de/de/magazin/der-falsche-kaiser
12. https://open.spotify.com/episode/4MRTJwoIft5oWisW9N99JM
13. https://hoerspiele.dra.de/detailansicht/1545721
14. https://epochentrotter.de/podcast/der-falsche-friedrich-ein-hochstapler-als-kaiser/